Jahrbücher
Oldenburger Münsterland

 

Kommentar von: Andreas Kathe Interne Nr.: 9443-11

 

 
Tot und vergessen?
Sterbebilder als Zeugnis katholischen Totengedenkens
 
  Totenzettel, Sterbebilder: Wir alle kennen sie. In einer stark katholisch geprägten Region wie dem Oldenburger Münsterland gehören sie bis heute zu den kirchlich-katholischen Beerdigungen, und kaum jemand hat sich über ihre tiefere Bedeutung bislang Gedanken gemacht. Kaum jemand - wäre da nicht die 30-jährige Volkskundlerin Christine Aka aus Hagstedt bei Visbek.  
  Ihre Doktorarbeit unter dem Titel "Tot und vergessen? - Sterbebilder als Zeugnisse katholischen Totengedenkens" ist jetzt als aufwendig gestaltetes Buch erschienen, Die Wissenschaftlerin, die ihre Dissertation an der Universität Münster abschloß, hat fast 4200 Totenzettel und Sterbebilder gefallener Soldaten ausgewertet. Die Mehrzahl dieser stammt dabei aus dem Bereich der Gemeinde Visbek, viele weitere aus den umliegenden Gemeinden des Oldenburger Münsterlandes.  
  Totenzettel - was können uns diese kleinen, zwei- oder vierseitigen Blättchen über den Hinweis auf den/die Verstorbenen hinaus schon sagen? Christine Aka weiß auf diese Frage eine Antwort:  
  Totenzettel, ursprünglich zunächst im Holländischen im 16. Jahrhundert entstanden, fanden ihren Weg erst zur Hälfte des 19. Jahrhunderts in unsere Region. Bis zum Ende des Jahrhunderts waren sie herausragenden Persönlichkeiten vorbehalten: Priestern, großen Bauern, reicheren Bürgern. Ihr hauptsächlicher Hintergrund war, die Erinnerung an diese Persönlichkeiten aufrechtzuerhalten. Mit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird der Totenzettel zu einem Massenartikel, und er ändert dabei völlig seine Funktion. Er wird nun zu einem Ausdruck der sich verstärkenden Volksfrömmigkeit. Auslöser dafür waren die Bemühungen der katholischen Kirche, die Menschen wieder enger an sich zu binden. Christine Aka nennt das "eine Art Mobilmachung der Kirche zur Reorganisation der Religiosität".  
  Gerade in ländlichen Regionen wie dem Oldenburger Münsterland hatte man damit großen Erfolg. So wurden alte Frömmigkeitsformen wie etwa die "Herz-Jesu-Verehrung" neu belebt und verstärkt. Auf den Totenzetteln findet das seinen Niederschlag in Ablaßgebeten und immer neuen Aufrufen, für die Seele des Verstorbenen zu beten. Die Bilder auf den Totenzetteln zeigen jetzt zumeist Jesusdarstellungen. Die Totenzettel dieser Zeit - die noch bis in die 60er und 70er Jahre andauerte - umfassen dabei meist auch ausführliche Beschreibungen des Lebens des/der Verstorbenen mit eindeutig positiven Zügen. Im Leben wie im "guten" Sterben sollte der Verblichene sich so schon auf den Weg in Himmel vorbereitet haben. Manchmal wurde dabei dann auch so schamlos übertrieben, daß das geflügelte Wort entstand: "Hei lüch at ein Doenzettel".  
  Mit den 70er Jahren hat sich "der" Totenzettel völlig gewandelt. Er ist nüchterner geworden, er enthält weniger Text, dafür aber manchmal über Fotos und besondere Gestaltungsweisen individuellere Hinweise auf den Toten. Christine Aka deutet diese "Sprachlosigkeit" so, daß der Totenzettel jegliche Funktion zu verlieren scheint. Marienbilder oder schlichte gefaltete Hände lösen die Jesus-Darstellungen ab und aus der Angst vor dem Fegefeuer und der Strafe im Jenseits wird eine "allgemeine Erlösungshoffnung". Das religiöse "Ghetto" und die reglementierte Frömmigkeit sei damit auch im Oldenburger Münsterland aufgebrochen, resümiert die junge Volkskundlerin. Man habe zu einer neuen Form des Glaubens gefunden: Jenseits- und Gottesbild seien weniger angstbesetzt, da Gott nun nicht mehr als "strenger Richter aller Sünder" erscheint; er verzeiht vielmehr alles. "Sünde und Buße sind nicht mehr aktuell".  
  Dieser schnelle Umbruch des religiösen und kirchlichen Verständnisses ist, so Aka auch auf die enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandlungen zurückzuführen. Die Kirche habe dabei allerdings noch immer ihren "selbstverständlichen Platz" in der Gesellschaft behalten. Christine Akas Untersuchungen der Totenzettel erweist sich so letztlich als eine religions- wie sozialgeschichtlich wichtige Studie über den Wandel der Gesellschaft im Oldenburger Münsterland. Ein Wandel übrigens, in dem wir heute noch immer verfangen sind, und in dem das Selbstverständnis der jüngeren Generationen sich auseinandersetzen muß mit der Welt- und Religionsschicht älterer Menschen.  

 

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Stand: 06. März 2009